Wirklich herzerweichende Stimmung herrscht im Liverpooler Stadion an der Anfield Road nicht bei den Toren oder Ehrenrunden, sondern vor dem Spiel. Wenn ein Chor von 45.362 Zuschauern in den letzten Minuten vor dem Anpfiff die berühmteste Fußballhymne anstimmt, schlottern den härtesten Hooligans die Knie und die abgeklärtesten VIP-Gäste haben Tränen in den Augen: „Walk on, walk on, with hope in your hearts, and you’ll never walk aloooooone, you’ll neeeevaa walk alone.“
„Es tröstete sie und gab ihnen Hoffnung.“
Aber welch großem Musikus und Freund der Fankurven haben wir dieses Meisterwerk zu verdanken? John Lennon oder wenigstens Mick Jagger? Liebe Fußballfreunde, seid stark. „You’ll never walk alone“ (YNWA) wurde für das romantische Broadway-Musical „Carousel“ im Jahr 1945 von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein komponiert. „Eigentlich ist es ein absolut kitschiges Lied,“ sagt Karsten Blum, Hörfunkjournalist aus Hamburg. Für seinen Radiobeitrag über die Geschichte von YNWA wurde Blum kürzlich mit dem Niedersächsischen Hörfunkpreis ausgezeichnet. „In dem Musical geht es um die Tochter eines Karusseleinweisers. Ihr Vater stirbt und damit das Mädchen nicht allein ist, schickt er ihr vom Himmel aus einen Stern. In diesem Moment singt er für sie YNWA“, schildert Blum. Das Musical schlägt in New York ein wie eine Bombe. Es wird 890 Mal aufgeführt und besonders die Frauen strömen in Scharen hinein. „Vor allem die Mütter, deren Söhne nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs noch nicht zurückgekehrt waren, liebten dieses Lied“, sagt Blum, „Es tröstete sie und gab ihnen Hoffnung.“
An dem Erfolg der Schmalzette wollten auch die großen amerikanischen Stars teilhaben. Frank Sinatra, Doris Day, Johnny Cash, Ray Charles und sogar Elvis Presley coverten YNWA. Auch die Liverpooler Band „Gerry and the Pacemakers“ landete mit ihrer Version 1963 einen Nummer-Eins-Hit in England. Aus welcher Fankurve das Lied dann aber zuerst geschmettert wurde, vermag auch Karsten Blum nicht sicher zu sagen: „Die Anhänger vom FC Liverpool, von Celtic Glasgow und vom FC Fulham streiten sich darum. Da die „Pacemakers“ aber aus Liverpool kamen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es Fans der Reds waren.“
„Viele mögen das kitschig finden.“
Auf jeden Fall startete YNWA daraufhin einen Siegeszug durch Europas Stadien. In Deutschland wird die Hymne regelmäßig nur beim FC St. Pauli gegrölt. Karsten Blum, ein großer Fan der Kiez-Kicker, kam dann auch beim Mitbrüllen auf die Idee, die Geschichte des Liedes zu recherchieren: „Es wird von allen Fans gesungen – und verbindet so die unterschiedlichen Lager. Außerdem habe ich noch eine sehr persönliche Beziehung zu dem Lied.“ Blum hat sich nämlich auch seinen Ehering im St. Pauli-Fanshop gekauft. Und die Gravur? Na klar: „You’ll never walk alone.“
„Viele mögen das kitschig finden, aber ich stehe dazu – absolut“, versichert Blum. „Und überhaupt, wenn man den Songtext übersetzt, würde man das Lied wohl auch eher mit Roy Black verbinden.“ Recht hat er: „Mit Hoffnung im Herzen, den Kopf hochhalten und immer weitergehen.“ Das ist der Mega-Human-Touch-Effekt. In England und den USA wurde YNWA auch oft bei karitativen Aktionen und bei Benefizkonzerten gespielt. Der amerikanische Schauspieler Jerry Lewis nutzte es für seine Muskelschwund-Initiative, Placido Domingo intonierte den Klassiker 1985 bei einem Konzert nach einem Stadionfeuer mit 56 Toten in England, und Frank Sinatra sang es bei der Amtseinführung von George Bush Senior 1988.
„In Deutschland kennt man YNWA nur als Fußballlied“, sagt Blum. „Aber wie inflationär dieses Jahrhundertwerk in den Stadien aus den Lautsprechern dudelt, gefällt mir gar nicht.“
Außerdem stört ihn, dass es oft erst bei einer 5:0‑Führung auf den Rängen gesungen wird. „Denn eigentlich ist es ein Lied für Niederlagen.“
Text:
When you walk through a storm hold your head up high
And don’t be afraid of the dark.
At the end of a storm is a golden sky
And the sweet silver song of a lark.
Walk on through the wind,
Walk on through the rain,
Tho‘ your dreams be tossed and blown.
Walk on, walk on with hope in your heart
And you’ll never walk alone,
You’ll never, ever walk alone.
Walk on, walk on with hope in your heart
And you’ll never walk alone,
You’ll never, ever walk alone.
Die Geschichte des „Kop“, der legendären Fankurve der Liverpool-Fans, findet ihr hier www.11freunde.de/fans/18981 .
In der Flimmerkiste: Der „Kop“-Chor.
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